Reproduktion des judenfeindlichen Gottesmordmythos, röm.-kath. Pfarrkirche St. Simon und Judas, Warburg (Wormeln)

Beschreibung

In der römisch-katholischen Pfarrkirche St. Simon und Judas im Warburger Ortsteil Wormeln finden sich Kreuzwegbilder, die durch ihre Bildsprache Elemente der antijüdischen Gottesmordlegende reproduzieren. Die genaue Entstehungszeit dieser Bilder ist unbekannt. Die Kirche selbst war ursprünglich Teil eines 1246 gegründeten Nonnenklosters.

Im Vergleich zu anderen bekannten Darstellungen ist der antisemitische Gehalt der Wormelner Kreuzwegbilder auf den ersten Blick weniger plakativ – doch gerade diese subtile Form macht ihre Wirkung nicht weniger problematisch. Die Reproduktion judenfeindlicher Narrative erfolgt hier durch gezielte visuelle Codierungen und narrative Konstellationen.

Bereits in der ersten Kreuzwegstation eröffnet sich den Betrachtenden ein Blick in das Innere des Palastes des römischen Statthalters Pontius Pilatus. Zu sehen ist, wie Jesus von Nazareth abgeführt wird. Pilatus wäscht sich demonstrativ die Hände in Unschuld. Römische Soldaten sind dargestellt, einer trägt eine Fasces – ein Bündel aus Ruten mit einem Beil –, das Symbol für das ius gladii, das römische Recht, Körperstrafen und Todesurteile zu vollstrecken.

Ein klassisches Gemälde zeigt einen gekrönten, gewandeten Mann, der von einem anderen Mann geführt wird, während Soldaten und Umstehende in antiker Kleidung um einen Thron vor grünen Vorhängen und Steinbögen stehen. ( )

Auffällig ist jedoch die Anwesenheit zweier weiterer Figuren hinter dem Knaben, der die Wasserschüssel für den Statthalter hält. Diese beiden Gestalten sprechen und gestikulieren in Richtung Pilatus. Ihre Barttracht und Kopfbedeckung lassen sie eindeutig als jüdische Würdenträger erscheinen. In dieser Bildkomposition wird suggeriert, dass die Verurteilung Jesu nicht primär auf das Urteil der römischen Macht zurückgeht, sondern durch das Wirken jüdischer Akteure im Hintergrund herbeigeführt wurde. Diese Inszenierung nährt den Mythos des verborgenen jüdischen Einflusses auf offenes Unheil, ein Motiv, das sich bis in heutige Formen des Antisemitismus hineinzieht.

Die verwendete Bildsprache stützt außerdem den Gottesmordmythos, eine bereits im 2. Jahrhundert n. Chr. verbreitete Erzähltradition, die Jüdinnen und Juden kollektive Schuld an der Kreuzigung Jesu zuschreibt. Besonders eindrücklich wird dies in der Passionspredigt des frühchristlichen Autors Melito von Sardes deutlich: „Getötet hast du den Herrn inmitten Jerusalems! […] Der Gott ist getötet worden; der König Israels ist beseitigt worden von Israels Hand. Oh, welch unerhörter Mord!“1 Diese Vorstellung wurde von einflussreichen Kirchenvätern wie Origenes, Tertullian und Hieronymus übernommen und über Jahrhunderte hinweg theologisch, kulturell und bildlich tradiert. In der europäischen Geschichte verankerte sich so das Bild des „jüdischen Gottesmörders“ als tiefgreifender kultureller Code.2

Ein Gemälde zeigt Jesus, der auf einem Holzkreuz liegt, umgeben von Männern, die seine Kreuzigung vorbereiten. Ein Mann hält einen Hammer über die Hand Jesu, ein anderer kniet neben seinen Füßen, und im Hintergrund stehen Schaulustige. ( )

In den Wormelner Kreuzwegbildern tauchen vergleichbare, als jüdisch lesbare Figuren erneut in den Stationen 2, 3, 7, 9, 10 und 11 auf. Besonders markant ist die 11. Station: Die Szene der Kreuzannagelung zeigt keine römischen Soldaten mehr im Vordergrund – ihre Präsenz beschränkt sich auf eine Lanzenspitze im Hintergrund. Die Ausführung der Annagelung übernehmen einfache Knechte, während die leitende Figur dieser grausamen Handlung wiederum eindeutig als jüdischer Würdenträger inszeniert ist. Auch hier wird visuell und narrativ die Verantwortungszuschreibung verschoben – weg von der römischen Macht, hin zu einer angeblich jüdischen Regie hinter den Kulissen.

Der Gottesmordvorwurf wurde im Laufe der Geschichte zu einem Kernbestandteil christlich geprägter Judenfeindschaft. Seit dem 2. Jahrhundert diente er als theologische Legitimierung von Ausgrenzung, Verfolgung und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden. In der kirchlichen Lehre und Volksfrömmigkeit entstand ein Feindbild, das über Jahrhunderte hinweg Pogrome, soziale Marginalisierung und strukturelle Diskriminierung vorbereitete und begleitete. Dieses tief verankerte Narrativ wirkte nicht nur im Mittelalter, sondern wurde auch in der Moderne fortgeschrieben. Es lieferte eine Vorlage für die antisemitische Propaganda im Nationalsozialismus und diente als Legitimationsmuster für die Shoah. Die Auswirkungen reichen bis in unsere Gegenwart: Eine Befragung in zehn europäischen Ländern im Jahr 2012 ergab, dass durchschnittlich 22 % der Befragten der Aussage zustimmten, dass „die Juden“ Jesus getötet hätten.3

Das in den Wormelner Kreuzwegbildern reproduzierte Bild jüdischer Schuld und verborgenen Einflusses ist somit kein harmloses historisches Detail, sondern Teil einer langen, gefährlichen Tradition. Es erinnert daran, wie religiöse Kunst antisemitische Narrative transportieren und verfestigen kann – subtil, aber wirkmächtig. Eine kritische Kontextualisierung ist daher unerlässlich, um diese Spuren sichtbar zu machen – und ihre Wirkung zu entkräften.


Der Beitrag “Die Gottesmordlegende: Grundlage für judenfeindliche Passionsdarstellungen über Jahrhunderte” in unserem Kontextbereich stellt die Ursprünge und Entwicklungen der Gottesmordlegende ausführlich dar.

Fußnoten

1 zitiert nach: Rohrbacher, Stefan; Schmidt, Michael (1991): Judenbilder, Reinbek, S. 222
2 vgl. Friedländer, Saul (1998): Das Dritte Reich und die Juden, Die Jahre der Verfolgung 1933–1939, München
3 vgl. Tarach, Tilman (2022): Teuflische Allmacht, Berlin, S. 52

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