Judenfeindliche Prozessionsdarstellungen an der röm.-kath. Conradus-Kapelle, Paderborn

Beschreibung

Das Urteil über die Hinrichtung Jesu von Nazareth wurde durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus verhängt und von römischen Soldaten vollzogen. Dennoch vermittelt die christliche Ikonografie immer wieder den Eindruck, jüdische Akteure hätten eine maßgebliche Rolle im Hintergrund gespielt. Diese Darstellung knüpft an die sogenannte Gottesmordlegende an, die insbesondere in Kreuzwegen häufig aufgegriffen wird. Ein Beispiel dafür sind die Kreuzwegstationen an der römisch-katholischen Conradus-Kapelle in Paderborn. 

Betrachtet man die erste Station der hier gezeigten Kreuzwegreliefs, so sind vier Figuren sofort identifizierbar: Der römische Statthalter Pontius Pilatus sowie ein junger Mensch, der diesem eine Waschschüssel hält und Jesus von Nazareth, der von einem römischen Soldaten abgeführt wird. Die nur im Matthäusevangelium zu findende Szene zeigt, wie der rechtsprechende Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht1, während der Verurteilte von dem römischen Soldaten abgeführt wird. Bei Matthäus mündet diese Szene unmittelbar in den sogenannten Blutfluch „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“2. Mit diesem Blutfluch macht das Matthäusevangelium Jesus jüdische Zeitgenoss:innen sowie deren Nachkommen für die Folgen des römischen Unrechtsurteils haftbar.

Judenfeindliche Konsolfigur (A), Kirche Mariä Heimsuchung, Warburg (Altstadt)

Es ist allerdings eine fünfte Person auf dieser ersten Station zu sehen. Sie steht gleichermaßen mittig-zentral wie auch im Hintergrund. Ihr Blick wirkt deutlich strenger als der des römischen Stadthalters und trifft den des römischen Soldaten. Diese fünfte Person wirkt wie die eigentliche Autorität in der Szene. 

Bei der Ausgestaltung dieser fünften Person bedient sich der Urheber vermeintlicher physiognomischer Merkmale, die seit dem späten 18. Jahrhundert zur rassistischen Abgrenzung zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Menschen herangezogen wurden. Diese Zuschreibungen, die bereits 1886 von Rudolf Virchow und 1913 von Maurice Fishberg widerlegt wurden, umfassen unter anderem gebogene Nasen, einen geringen Augenabstand und wulstige Gesichtszüge.3

Damit einher gehen rassistische Unterstellungen gegenüber Jüdinnen:Juden wie Hinterlistigkeit, Verschlagenheit, Triebhaftigkeit, Unbelehrbarkeit und das Wirken im Verborgenen. Diese Merkmale sind bis heute im zeitgenössischen Antisemitismus zu finden und treten besonders im direkten Vergleich mit tatsächlich oder vermeintlich nicht-jüdischen Protagonisten auf den Kreuzwegbildern an der Conradus-Kapelle in Paderborn hervor.

Es bleibt jedoch nicht bei einem einmaligen Auftauchen einer solchen Figur auf der ersten Kreuzwegstation. Auch auf weiteren Reliefs dieser Prozessionsdarstellung lassen sich ähnliche Personen finden, die aufgrund ihrer Mimik und Gestik so gelesen werden können, als überwachen sie das Geschehen oder geben gar Anweisungen.

Die in dieser Darstellung gezeigte Rollenverteilung bei der Kreuzigung findet sich über viele Jahrhunderte hinweg häufig in der christlichen Kunst. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass diese Reliefs keine Ausnahme darstellen, sondern dass die Gottesmordlegende tief in der christlichen Theologie und Bildsprache verankert ist. In diesem Zusammenhang muss bedacht werden, dass Pogrome gegen Jüdinnen und Juden über Jahrhunderte hinweg oft direkt im Anschluss an Karfreitagsprozessionen stattfanden. Die fortwährende Reproduktion der Gottesmordlegende diente den Täterinnen und Tätern dabei als Motivation und Rechtfertigung.


Der Kreuzweg an der Conradus-Kapelle in Paderborn stammt aus Kevelaer von Bildhauer Franz Cleve. 1952 wurde er von den Schwestern der Christlichen Liebe der Nordamerikanischen Provinz gestiftet. Franz Cleve lebte von 1879 bis 1920.

Fußnoten

1 vgl. Matthäus 27,24; dieser Ritus bezieht sich auf 5.Mose 21,6-9
2 vgl. Matthäus 27,25
3 vgl. Schäfer, Julia (14.9.2004): Der antisemitische Stereotyp, Über die Tradition des visuellen „Judenbildes“ in der deutschsprachigen Propaganda, in: Zukunft braucht Erinnerung, in: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/der-antisemitische-stereotyp/, Stand: 27.3.2025;

vgl. Gorelik, Lena: Die Top Ten der antisemitischen Vorurteile: Warum sie wahr sind, in: https://www.jmberlin.de/sites/default/files/media/documents/jmb-journal-8-leseprobe-gorelik.pdf, Stand: 27.3.2025 

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