Judenfeindliche Konsolfigur am ehemaligen Dominikanerkloster, Warburg (Altstadt)

Beschreibung

Relativ gut sichtbar ist die judenfeindliche Konsolfigur am Mittelbau des ehemaligen Dominikanerklosters vom Brüderkirchhof aus, südlich der Kirche Maria im Weinberg. Sie wird zusammen mit anderen Merkmalen des Baus zur Bestimmung der Entstehungszeit des Gebäudeteils im 14. Jahrhundert herangezogen. Es handelte sich um den Hauptbau des Ordens mit Repertorium und Dormitorium. 1949 wurde hier auf einer Mauer eine Leuchte zum Gedenken an zwei Abiturienten des heute in dem Gebäude befindlichen Gymnasium Marianum installiert, die beide aufgrund ihres Widerstandes im Nationalsozialismus ermordet wurden.1 Ein Hinweis auf die judenfeindliche Skulptur am Gebäude fehlt bis heute.

Auf den ersten Blick sind die Details der Figur nicht leicht zu sehen. Aber mit einem Fernglas oder einem Teleobjektiv lassen sich die Details des Mischwesens gut erkennen. Die Skulptur hat einen menschlichen Kopf. Der Hals ist hier kürzer als bei der Chimäre in der Kirche Mariä Heimsuchung. Auf dem Rücken trägt die Figur eine Art Kamm aus kleinen Erhebungen. Dies erinnert an Darstellungen von Drachen. Der Rücken scheint in eine Art Schwanz zu münden. Das Bein ist schmal und rund. Der Fuß erinnert an den einer Gans oder Ente. Die Augen der Figur wirken geschlossen, wogegen der Mund offen steht. Die Haare sind gelockt und mittellang. Das Mischwesen trägt eine als Judenhut zu identifizierende Kopfbedeckung. Die Körperhaltung ist gebückt.

Judenfeindliche Konsolfigur am ehemaligen Dominikanerkloster, Warburg (Altstadt)


Der Judenhut allein wäre noch kein Beleg für eine judenfeindliche Interpretation der Figur. Die eindeutig judenfeindliche Deutung des Objekts ergibt sich aus der Kombination mit dem Tierkörper, der Juden mit gefährlichen Monsterwesen gleichsetzt. Hierdurch findet eine Identifikation mit dem Bösen statt. Juden werden damit dem Bereich des Unheiligen, des Bösen, der Sünde etc. zugeordnet. Typologisch stehen solche Figuren in enger Verbindung zu den Höllendarstellungen in der früh- und hochmittelalterlichen Literatur. Man muss sich an dieser Stelle bewusstmachen, dass die Menschen dieser Zeit sich das Böse keinesfalls abstrakt vorstellten. Dämonen, Fabelwesen, Mischwesen und Monster waren für sie keine Fiktion im Sinne heutiger Bücher, Filme oder Computerspiele. Die Menschen glaubten, dass es solche Wesen gab.

An dieser Stelle lohnt sich der Blick auf eine Beschreibung der Juden von Johannes Chrysostomus aus dem späten 4. Jahrhundert: „Denn nicht einfach für Räuber und Diebesgesindel, sondern für Dämonen ist sie [die Synagoge] ein Unterschlupf, ja mehr, nicht nur die Synagogen [sind das], sondern die Seelen selbst der Juden; […] Mit Menschen also, sag mir, dämonenbesessenen, die so viele unreine […] Geister haben, die sich von Schlachtungen und Morden genährt haben, […]“2

Solche Figuren hatten keinen primär dekorativen Zweck, schon gar nicht an einem Gebäude eines Bettelordens. Vielmehr waren sie Abwehrzauber und Predigt in einem. „In einer weithin analphabetischen Gesellschaft wurde der kommunikative Austausch zwischen der schriftkundigen Elite und dem illiteraten Volk in den Bereichen Herrschaft, Kultur und Religion in hohem Maße mittels symbolträchtiger Gesten, Zeichen und Bildformeln geleistet […] Für den religiösen Bereich wird die Vermittlung von Inhalten an Laien durch Bilder vor allem durch Augustinus und Gregor den Großen ausdrücklich bestätigt.“3

Judenfeindliche Konsolfigur am ehemaligen Dominikanerkloster, Warburg (Altstadt)

Dass solche Spuren von in Stein gehauenem Judenhass an einem Dominikanerkloster dieser Zeit zu finden sind ist folgerichtig. Der 1215 gegründete und 1281 nach Warburg berufene Orden war Teil einer Bettelordenbewegung. Sie bekannten sich zur Armut und betätigten sich karitativ. Der Schwerpunkt des Dominikanerordens lag aber in Ausbildung, Predigt und der Bekehrung von aus ihrer Sicht häretischen und ketzerischen Gruppen, die sie auch verfolgten, denn mit dem Abschluss der Christianisierung der slawischen Völker und Skandinaviens richtete sich der Blick der Kirche zunehmend auf unterstellte innere Feinde. Gemeint waren sogenannte Ketzer und Juden. Dort meinte man das Werk des Teufels in der Welt zu sehen. Auch das sich im 12. und 13. Jahrhundert wandelnde Christusbild vom Pantokrator zum leidenden Menschen am Kreuz brachte eine zusätzliche Bedrohung für Juden. Zum einen bekam der Vorwurf des Mordes an Jesus Christus damit eine verstärkende emotionale Kraft, zum anderen machte es aus Gottesmördern Menschenfeinde.

Schon früh hatten die Dominikaner neben sogenannten Ketzern auch Juden als Ziele ihrer Mission ausgemacht. Sie konnten sich dabei unter anderem auf die päpstliche Bulle Vineam Sorec von 1278 berufen, in der sie zur organisierten Judenmission in Europa aufgefordert wurden. Wie andere Bettelorden entwickelten die Dominikaner eine überwiegend judenfeindliche Haltung. Die am meisten verbreitete antijüdische Schrift des Mittelalters stammte von einem Dominikaner, dem Spanier Alfonso de Buenhombre. Sein fingierter Brief des Rabbis Samuel, der sich als Werk eines bekehrten Juden ausgab, behandelte die Zerstreuung der Juden unter den Völkern und ihre Ursache. Der 1339 in lateinischer Sprache abgefasste Brief wurde in beinahe alle Sprachen des Abendlandes übersetzt und hat sich in mehr als dreihundert Handschriften erhalten.

Judenfeindliche Konsolfigur am ehemaligen Dominikanerkloster, Warburg (Altstadt)

Winfried Frey stellt die Verbreitung von Vorurteilen und Pauschalanschuldigungen gegenüber Juden in besonderen Zusammenhang mit dem Wirken der Bettelorden im 13. und 14. Jahrhundert: „Predigerorden hätten demzufolge direkten Einfluss auf das Denken, Fühlen und den Glauben der noch meist analphabetischen Bevölkerungsmehrheit gehabt – die Päpste und Bischöfe konnte[n] diese, unter anderem wegen der geographischen Entfernung, aber auch weil sie sich der lateinischen Sprache bedienten, nicht erreichen. So seien selbst judenfreundliche Äußerungen und Erlässe nicht bis in die unteren sozialen Schichten der Bevölkerung vorgedrungen. Die judenfeindlichen Mönche und niederen Kleriker hingegen hätten sich in der Sprache des Volkes, also der Deutschen Sprache, geäußert und zur Veranschaulichung ihrer Ansichten Wendungen doppelter Bedeutung verwendet. Frey weist […] darauf hin, dass judenfeindliche Aussagen [… einem ] beständig und oftmals wiederkehrenden Teil der Predigten ausgemacht haben dürfte. Vor allem die Formel „Juden, Ketzer, Heiden“ finde sich in diesem Zusammenhang immer wieder in mittelalterlichen Texten, was besonders zu Lasten der Juden gegangen sei, denn diese zu verfolgen und zu diskreditieren,[sic] sei vergleichsweise einfach gewesen. Als besonders einflussreichen und judenfeindlichen Prediger des 13. Jahrhunderts nennt Frey den Franziskaner Berthold von Regensburg, der zwar – der augustinischen Tradition folgend – nicht zum Judenmord aufgerufen habe, aber durch die extrem radikale Wortwahl seiner Texte aufgefallen sei. Bei Berthold seien die Juden nun endgültig „die anderen, die Ausgeschlossenen, die Feinde, die Prügelknaben, mit einem Wort ‚die stinkenden jüden“ geworden. Als weitere Beispiele für judenfeindliche Inhalte zitiert Frey unter anderem die Werke des Dominikaners Thomas von Aquin […] Dieser unterstrich in seiner Summa Theologiae […] die Rolle der Juden als ewige Knechte. Den Juden sollte außerdem nur das Existenzminimum zum Leben bleiben.“5

Die Vorstellung, Juden konnten sich zu dieser Zeit der Ausgrenzung, Abwertung und Entmenschlichung durch Taufe und Konversion entziehen, ist unzulässig vereinfachend. Es kam zu Konversionen, diese wurden aber auch skeptisch betrachtet: „Seit dem Mittelalter sahen sich Konvertiten wiederholt dem Generalverdacht ausgesetzt, es mit ihrer Konversion nicht ernst gemeint zu haben oder nur über geringen Glauben zu verfügen. Auf diesem Weg würden sie „jüdische“ Irrlehren und Riten in die Kirche eintragen und sie so von innen heraus schwächen. Insbesondere seit dem 13. und 14. Jahrhundert verbanden sich mit solchen Unterstellungen auch Verschwörungsvorstellungen von einer planmäßigen Unterwanderung der christlichen Lehre und der christlichen Gemeinschaft durch Konvertiten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in den Auseinandersetzungen um Rechtgläubigkeit und innerchristliche Glaubensabweichung der Reformationszeit die Figur des jüdischen Konvertiten bzw. des „Judaisierers“ regelmäßig als Instrument einer Verschwörung gegen die Christen auftaucht.“6


Die Konsolfiguren am ehemaligen Dominikanerkloster zeigen offensichtlich deutlichere Spuren von Beschädigungen (mutmaßlich Witterungseinflüsse und Umweltschäden) als die Konsolfiguren im unteren Turmraum der Altstadtkirche. In der Denkmaltopografie der Bundesrepublik Deutschland ist eine Abbildung der judenfeindlichen Skulptur zu finden. Im Text wird sie zusammen mit anderen Konsolfiguren am selben Bauwerk wie folgt beschrieben: „Die beiden Konsolen mit ihren markanten drachenartigen Fabelwesen im südseitigen Sockelbereich und nördlich an der Ostseite sowie die beiden kleineren Fabeltiere an den wohl wiederverwendeten südlichen Giebelansätzen […]“7 Auf einen Verweis auf den Judenhut wird in der Beschreibung verzichtet.

Fußnoten

1 Josef Wirmer und Wilhelm-Emanuel von Ketteler
vgl. Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland, Denkmäler in Westfalen, Kreis Höxter, Band 1.1, Stadt Warburg, Seite 198
2 Johannes Chrysostomus  (386/387), zitiert nach: Reicht, Christoph (2017): Antijudaistische Stereotype des Hoch- und Spätmittelalters an ausgewählten Beispielen der Bildsprache, Diplomarbeit, Universität Graz; in: https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/1973923/full.pdf, Stand: 10.3.2023, Seite 34
3 Zitat: Grün, Maria Ulrike (2008): Figurale Bauplastik an der Chorfassade von St. Stephan in Wien, Diplomarbeit, Universität Wien, in: https://core.ac.uk/download/pdf/11582372.pdf, Stand: 10.3.2023, Seite 12
4 vgl. Buttinger, Sabine: Das Mittelalter. 3. korrigierte und erweiterte Auflage, Stuttgart: Theiss 2012. (= Theiss WissenKompakt. 2611.), zitiert nach: Reicht, Christoph (2017): Antijudaistische Stereotype des Hoch- und Spätmittelalters an ausgewählten Beispielen der Bildsprache, Diplomarbeit, Universität Graz; Seite 12 ff.; in: https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/1973923/full.pdf, Stand: 10.3.2023;
vgl. Jung, Martin H. (2008): Christen und Juden. Die Geschichte ihrer Beziehungen. Darmstadt, Seite 109 ff.;
vgl. Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 60 Historienbibel ; Irmhart Öser ; ‘Brandans Reise’ u.a. — Südwestdeutschland, um 1460, in: https://doi.org/10.11588/diglit.360#0210; Stand: 10.3.2023
5 Zitat: Reicht, Christoph (2017): Antijudaistische Stereotype des Hoch- und Spätmittelalters an ausgewählten Beispielen der Bildsprache, Diplomarbeit, Universität Graz; in: https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/1973923/full.pdf, Stand: 10.3.2023, Seite 39 ff.
6 Zitat: Töllner, Axel (2022): Von christlichem Antijudaismus im modernen Antisemitismus, in: Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik, in: https://link.springer.com/article/10.1007/s41682-022-00101-8; Stand: 10.3.2023
7 Zitat: Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland, Denkmäler in Westfalen, Kreis Höxter, Band 1.1, Stadt Warburg, Seite 204

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