Reproduktion des judenfeindlichen Gottesmordmythos, röm.-kath. Kirche St. Johannes Baptist, Willebadessen (Fölsen)

Beschreibung

In der römisch-katholischen Pfarrkirche St. Johannes Baptist in Fölsen, einem Ortsteil von Willebadessen, befinden sich Kreuzwegbilder, deren bildliche Darstellung eine problematische judenfeindliche Symbolik enthält. Die Saalkirche, deren Bau auf 1746 bis 1747 datiert ist, hat eine lange Geschichte, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Urheber und Entstehungszeit der Kreuzwegbilder sind nicht bekannt, doch die judenfeindliche Botschaft dieser Bilder ist bis heute von Bedeutung.

Das erste Bild der Kreuzwegstationen gewährt einen Blick in den Palast des römischen Stadthalters Pontius Pilatus und zeigt, wie dieser die Hände in Unschuld wäscht.1 Im Vordergrund ist ein römischer Soldat zu sehen, der den verurteilten Jesus von Nazareth abführt. Auffällig ist die Person hinter dem Soldaten, deren Gesichtszüge nahezu identisch mit denen des Soldaten sind, jedoch durch den Turban als jüdisch gedeutet werden muss. Die Physiognomie dieser beiden Figuren entspricht den typischen Stereotypen gegenüber Jüdinnen: Juden: eine gebogene Nase, wulstige Augenbrauen und hervorstehende Augen. Diese Merkmale kontrastieren deutlich mit denen der anderen Figuren auf diesem Bild, wie Pilatus oder der Knabe, der die Waschschüssel hält. Es entsteht der Eindruck, dass nicht die römische Besatzungsmacht, sondern „die Juden“ hinter dem Tod Jesu stehen. Diese Bildgestaltung reproduziert somit den sogenannten Gottesmordmythos, der die jüdische Bevölkerung kollektiv für die Kreuzigung Jesu verantwortlich macht.

Ein Gemälde zeigt Jesus, der gefesselt ist und eine Dornenkrone trägt, während er von einem römischen Soldaten geführt wird. Andere Figuren schauen zu oder schreiben im Hintergrund und stellen eine Szene aus dem Prozess gegen Jesus vor seiner Kreuzigung dar. ( )


In den weiteren Stationen des Kreuzweges treten römische Soldaten nur noch vereinzelt auf, meist im Hintergrund und nur noch einmal im Vordergrund. Stattdessen sind vor allem Figuren zu sehen, die neutral oder als jüdisch gedeutet werden müssen. Die Handlung scheint dadurch zunehmend von Akteuren aus der jüdischen Gemeinschaft bestimmt zu werden, insbesondere weil sie offenbar von Personen geleitet wird, die aufgrund ihrer Ausgestaltung als jüdische Würdenträger zu lesen sind. Diese Darstellung stützt erneut den Gottesmordmythos, der die Vorstellung aufrechterhält, dass „die Juden“ für den Tod Jesu verantwortlich sind.

Ein Gemälde zeigt Jesus, der unter der Last des Kreuzes zusammengebrochen ist und von Soldaten und Trauernden umringt wird; ein Mann zieht an den Kleidern Jesu, während andere, zum Teil verzweifelt, in einer biblischen Szene zusehen. ( )

Dieser Mythos des Gottesmordes ist im Neuen Testament nicht vorhanden. In Johannes 19,23 wird explizit erwähnt, dass es römische Soldaten waren, die die Kreuzigung im Auftrag von Pilatus vollzogen. Auch außerbiblische Quellen bestätigen, dass nur die Römer das Recht zur Verhängung der Todesstrafe besaßen.2 Dennoch verbreiteten frühchristliche Theologen diesen Vorwurf in ihren Schriften, wie etwa Prudentius, Hilarius von Poitiers oder Ambrosius von Mailand, und nutzten ihn, um eine religiöse Ablehnung des Judentums zu rechtfertigen.3 Dieser Vorwurf prägte das christliche Bild vom Judentum über Jahrhunderte hinweg und ist ein zentraler Bestandteil christlicher Judenfeindschaft.

Auf einem Gemälde ist die Kreuzigung Jesu dargestellt: Jesus liegt auf dem Boden, ein Mann hält Nägel und einen Hammer über ihm, Schaulustige sind verzweifelt, und im Hintergrund erhebt eine Frau ihre Arme in Angst und Schrecken. ( )

Der Gottesmordmythos ist nicht nur ein theologisches Konzept, sondern auch ein Werkzeug zur sozialen Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Europa. Die Vorstellung von Juden als „Gottesmörder“ fand tiefen Eingang in die Volksfrömmigkeit und wurde als kulturelles Erbe in den Jahrhunderten weitergetragen.4 Diese Erzählung diente zur Legitimierung von Diskriminierung und Verfolgung und erreichte ihren Höhepunkt während der Shoah.

Die in der Kirche St. Johannes Baptist dokumentierten Kreuzwegbilder sind nicht nur Zeugnisse einer religiösen Tradition, sondern auch ein Spiegelbild der tief verankerten judenfeindlichen Erzählungen, die die europäische Geschichte geprägt haben. Um die problematischen Inhalte dieser Bilder zu erkennen und zu verstehen, bedarf es – sofern sie denn weiter gezeigt werden sollen – einer sorgfältigen Kontextualisierung vor Ort. Betrachter:innen sollten über die judenfeindliche Symbolik, ihre Bedeutung und Wirkung aufgeklärt werden, um das volle Ausmaß der Problematik zu erfassen.

Ebenso wichtig ist die Distanzierung von der in diesen Bildern gezeigten judenfeindlichen Bildsprache. Es muss klar kommuniziert werden, dass diese Darstellungen und die damit verbundenen Stereotype weder der christlichen Lehre entsprechen, noch irgendeine Form von Legitimation für Antisemitismus bieten. Die Kirche muss sich aktiv von dieser Bildsprache distanzieren und den historischen Kontext so aufbereiten, dass Besucher:innen ein kritisches Verständnis entwickeln können. Die Bilder dürfen nicht einfach als historische Artefakte betrachtet werden, sondern müssen in ihrer problematischen Wirkung anerkannt und entsprechend eingeordnet werden, denn das Motiv der „jüdischen Schuld“ am Tod Jesu sowie jüdischen Wirkens im Hintergrund am Unheil in der Welt ist bis heute aktiver Bestandteil des antisemitischen Diskurses.


Der Beitrag “Die Gottesmordlegende: Grundlage für judenfeindliche Passionsdarstellungen über Jahrhunderte” in unserem Kontextbereich stellt die Ursprünge und Entwicklungen der Gottesmordlegende ausführlich dar.

Fußnoten

1 vgl. Matthäus 27,24
2 vgl. Theißen, Gerd / Merz, Annette (2011): Der Historische Jesus, Göttingen, S. 500
3 vgl. Isaac, Jules (1969): Genesis des Antisemitismus, Wien, S. 122

4 vgl. Rohrbacher, Stefan / Schmidt, Michael (1991): Judenbilder, Reinbek, S. 8

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