Beschreibung
Die 1954 entstandenen Kreuzwegbilder in der römisch-katholischen Pfarrkirche St. Liborius in Steinheim (Bergheim) tragen den jahrhundertealten kulturellen Code des sogenannten Gottesmordvorwurfs in sich. Dieser Vorwurf beeinflusste maßgeblich das Bild von Jüdinnen und Juden innerhalb der christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft des 20. Jahrhunderts. Die Gottesmordlegende wurde über Jahrhunderte zur Rechtfertigung von Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung bis hin zur Shoah verwendet und wirkt bis heute nach.1
Das Bild der ersten Station gewährt einen Blick in den Palast des römischen Statthalters. Ein römischer Soldat führt den verurteilten Jesus von Nazareth ab. Pontius Pilatus wäscht sich die Hände und deutet damit an, keine Verantwortung für die Verurteilung Jesu zu tragen. Historisch ist jedoch zu bestreiten, dass der römische Statthalter tatsächlich unschuldig am Urteil der Kreuzigung war, wie es diese Szene suggeriert.2

Nach dieser ersten Szene treten römische Soldaten weiterhin als sichtbare Figuren auf, erscheinen jedoch vor allem in der Rolle von Begleitern oder Absichernden. Die eigentliche Kontrolle über das weitere Geschehen liegt offenbar bei anderen Personen, die durch ihre Kleidung als jüdische Würdenträger identifizierbar gemacht werden. In mindestens zwei Bildern scheinen diese den römischen Soldaten sogar Anweisungen zu geben. Die Darstellung suggeriert damit eine jüdische Urheberschaft der Kreuzigung und spiegelt visuell den tradierten Vorwurf des Gottesmordes wider.

Der Begriff „Gottesmord“ bezeichnet in der Kirchengeschichte die Behauptung, Jüdinnen und Juden trügen eine kollektive, unveränderliche Schuld an der Kreuzigung Jesu von Nazareth. Geprägt wurde diese Vorstellung maßgeblich durch die Schriften des Bischofs Melito von Sardes.3

Noch bevor das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich wurde, fand der Vorwurf des Gottesmordes Eingang in die antijüdische Polemik frühchristlicher Autoren. In den sogenannten Adversus-Iudaeos-Schriften wurde dieser Vorwurf zu einem festen Motiv, das unter anderem von Prudentius, Hilarius von Poitiers, Gregor von Nyssa, Ambrosius von Mailand, Epiphanios von Salamis und Kyrill von Jerusalem aufgegriffen und weiterverbreitet wurde.4
Der Gottesmordvorwurf wurde zu einem zentralen Bestandteil christlich geprägter Judenfeindlichkeit. Bereits seit dem 2. Jahrhundert diente er der Kirche dazu, eine theologische Ablehnung des Judentums zu konstruieren und zugleich soziale Ausgrenzung, Unterdrückung und Gewalt gegen jüdische Menschen zu legitimieren. Das in der Volksfrömmigkeit verankerte Bild der Jüdinnen und Juden als „Volk der Gottesmörder“ prägte über Jahrhunderte die Wahrnehmung und wurde zu einem tief verwurzelten kulturellen Code in der europäischen Geschichte.5
Der Gottesmordvorwurf wurde zu einem zentralen Bestandteil christlich geprägter Judenfeindlichkeit. Bereits seit dem 2. Jahrhundert diente er der Kirche dazu, eine theologische Ablehnung des Judentums zu konstruieren und zugleich soziale Ausgrenzung, Unterdrückung und Gewalt gegen jüdische Menschen zu legitimieren. Das in der Volksfrömmigkeit verankerte Bild der Jüdinnen und Juden als „Volk der Gottesmörder“ prägte über Jahrhunderte die Wahrnehmung und wurde zu einem tief verwurzelten kulturellen Code in der europäischen Geschichte.5
Die hier gezeigten Kreuzwegbilder zeigen in erschreckender Deutlichkeit, wie tief der abwertende und ausgrenzende kulturelle Code des Gottesmordvorwurfs selbst nach der Shoah in der christlichen Bildsprache verankert blieb – und wie das tradierte, von der Kirche über Jahrhunderte verbreitete und von den Nationalsozialisten propagandistisch zugespitzte6 Bild vom „Volk der Gottesmörder“ auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ungebrochen weiterwirkte.
Der Beitrag “Die Gottesmordlegende: Grundlage für judenfeindliche Passionsdarstellungen über Jahrhunderte” in unserem Kontextbereich stellt die Urprünge und Entwicklungen der Gottesmordlegende ausführlich dar.
Fußnoten
1 vgl. Tarach, Tilman (2022): Teuflische Allmacht, Über die verleugneten Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus, Berlin
2 vgl. Lapide, Pinchas (1987): Wer war schuld an Jesu Tod?, Gütersloh, Seite 67 ff.
3 vgl. Blum, Matthias (2010): Gottesmord, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Handbuch des Antisemitismus.
Band 3: Begriffe, Theorien, Ideologien, Berlin, Seite 113 ff.
4 vgl. Isaac, Jules (1969): Genesis des Antisemitismus, Wien, Seite 122; Bunte, Wolfgang (1989): Juden und Judentum in der mittelniederländischen Literatur (1100–1600), Frankfurt am Main, Seite 209
5 vgl. Rohrbacher, Stefan / Schmidt, Michael (1991): Judenbilder, Reinbek, Seite 8
6 vgl. Saul Friedländer, Saul (1998): Das Dritte Reich und die Juden, Die Jahre der Verfolgung 1933–1939, München