Judenfeindliche Bildsprache am Hochaltar der evangelischen Kirche St. Viktor in Schwerte

Beschreibung

Der sogenannte Antwerpener Schnitzaltar der heute evangelischen Kirche St. Viktor in Schwerte, datiert auf das Jahr 1523, gilt als ein Meisterwerk flämischer Kunst in Westfalen. Geschaffen von Künstlern der Antwerpener Lukasgilde, zählt der monumentale Flügelaltar mit seinem reich verzierten Schrein und den doppelseitigen, bemalten Flügeln zu den bedeutendsten Altären der Region. Nicht zuletzt anlässlich seines 500-jährigen Bestehens wurde das Werk in jüngerer Zeit umfassend erforscht und in der Öffentlichkeit gewürdigt – jedoch ohne systematische Auseinandersetzung mit seinen judenfeindlichen Bildinhalten.

Ein genauerer Blick auf einige der Darstellungen offenbart judenfeindliche Stereotypisierungen, die sich in der Physiognomie und Rollenverteilung der abgebildeten Figuren manifestieren. Beispielsweise in den Szenen „Juda vor den Hohepriestern“, „Ecce Homo“ und „Kreuzannagelung“ werden jüdische Protagonisten durch Merkmale wie gekrümmte Nasen, wulstige Gesichtszüge und markant gestaltete Augenbrauen als anders gekennzeichnet. Diese physiognomischen Merkmale suggerieren negative Charaktereigenschaften wie Hinterlist, Triebhaftigkeit oder Verschlagenheit – eine Bildsprache, die tief in der christlich-abendländischen Tradition judenfeindlicher Darstellung verwurzelt ist.

Judenfeindliche Konsolfigur (A), Kirche Mariä Heimsuchung, Warburg (Altstadt)


Diese Art der Visualisierung hat ihre Wurzeln lange vor dem modernen antisemitischen Rassismus. In spätmittelalterlichen Werken wie der Schedelschen Weltchronik aus dem Jahr 1493 finden sich ähnliche Darstellungen. Im Kontext von Passionsspielen oder reformatorischen Flugblättern wurden Juden karikierend und verzerrt dargestellt – oft mit dem Ziel, sie als feindliche Gegenspieler des Christentums zu markieren. Kleidung und Kopfbedeckungen, aber auch bewusst anders gezeichnete Gesichtsmerkmale dienten der visuellen Ausgrenzung und Abwertung.

Eine weitere Form der Judenfeindschaft im Altarwerk liegt in der Verschiebung von Schuld an der Ermordung Jesu – weg von der römischen Besatzungsmacht hin zu „den Juden“. Diese Verschiebung, die sich besonders in den Bildern „Jesus vor Pilatus“, „Geißelung“ und erneut „Kreuzannagelung“ zeigt, folgt der jahrhundertealten Gottesmordlegende. So erscheint etwa im Bild „Jesus vor Pilatus“ eine Figur mit turbanartiger Kopfbedeckung, die sich zu Pilatus beugt und ihm offenbar etwas ins Ohr flüstert – eine bildliche Suggestion jüdischer Einflussnahme im Hintergrund. Auch in der „Geißelung“ treten turbantragende Gestalten auf, die – am Rande des Geschehens – als Drahtzieher erscheinen. In der Szene der „Kreuzannagelung“ bewacht ein römischer Soldat die Szene. Eine Person, die offenbar ein Loch in den Querbalken vorbohrt, ist weder eindeutig als römisch oder jüdisch zu lesen. Den Nagel zum Annageln schon bereithaltend, ist jedoch eine aufgrund der physiognomischen Unterstellungen als jüdisch dargestellte Figur zu sehen.

Diese Verschiebung der Schuld von der römischen Staatsmacht auf „die Juden“ begann bereits während der Entstehung der Evangelien und führte zur sogenannten Gottesmordlegende, die in den hier vorgestellten Abbildungen reproduziert wird. Ein prägnantes Beispiel findet sich bei Bischof Melito von Sardes, der um 160 n. Chr. in einer Predigt die Juden beschuldigte, den „Herrn“ getötet zu haben. Diese Erzählung fand bei weiteren Kirchenvätern wie Origenes, Ephraem dem Syrer und Tertullian Verbreitung. Die Gottesmordlegende diente über Jahrhunderte hinweg als Basis für antijüdische Einstellungen und wurde auch zur Legitimation von Verbrechen bis hin zur Shoah herangezogen. Noch 2012 gaben in einer Umfrage in zehn europäischen Ländern durchschnittlich 22 % der befragten Personen an, sie glaubten, dass „die Juden“ Jesus Christus getötet hätten.1

Gerade angesichts der herausragenden kunsthistorischen Bedeutung des Antwerpener Schnitzaltars darf seine Funktion als Träger judenfeindlicher Vorstellungen nicht länger übersehen werden. Die Bildsprache dieses Altars ist nicht nur ein Spiegel theologischer Traditionen, sondern auch ein Dokument der Ausgrenzung. Seine Konservierung und öffentliche Ausstellung sollten mit einer kritischen Kontextualisierung einhergehen, die diese Dimension sichtbar macht – um vergangenes Unrecht zu benennen und dessen Wirkungsgeschichte zu verstehen.


Der Beitrag “Die Gottesmordlegende: Grundlage für judenfeindliche Passionsdarstellungen über Jahrhunderte” in unserem Kontextbereich stellt die Ursprünge und Entwicklungen der Gottesmordlegende ausführlich dar.

Die judenfeindliche Bildsprache am Hochaltar ist leider nicht das einzige judenfeindliche Objekt in der evangelischen Kirche St. Viktor in Schwerte. Informationen zum judenfeindlichen Konsolfigurprogramm in dieser Kirche finden sich hier.

Fußnoten

1 vgl. Tarach, Tilman (2022): Teuflische Allmacht. Über die verleugneten Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus, Berlin, Seite 52

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