Bei unseren Recherchen entdeckten wir mehrere Darstellungen der Heiligen St. Georg und St. Michael. Diese sind nicht immer ausgrenzend oder explizit judenfeindlich gestaltet, erfordern aber häufig eine diskriminierungskritische Betrachtung.
St. Georg gilt seit dem Mittelalter als Symbol des heldenhaften Glaubenskampfes gegen das Böse, verkörpert durch den Drachen. Als Schutzheiliger von Rittern und später Soldaten wurde er vor allem ab dem 11. Jahrhundert im Kontext der Kreuzzüge als himmlischer Beistand in der Schlacht angerufen. Im deutschsprachigen Raum erlangte er besondere Bedeutung als Patron von Ritterorden und wurde auch von den Habsburgern verehrt.
Der Erzengel Michael, der in der Offenbarung des Johannes gegen den Teufel kämpft, wurde bereits in der Spätantike als Anführer der himmlischen Heerscharen verehrt. In der Karolingerzeit entwickelte er sich zum Patron des Heeres, während im Heiligen Römischen Reich sein Kult als Symbol kaiserlicher Ordnung und Legitimation weitergeführt wurde. Klöster wie Mont-Saint-Michel zeugen von dieser Verehrung.

Relief des Heiligen Michael am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig (eingeweiht 1913)
Bildquelle: Sammlung Deutsche Fotothek, Sächsische Landesbibliothek, Dresden.
Diese Aufnahme ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ lizenziert.
Mit dem Aufkommen des Nationalstaats und besonders im Kaiserreich wurde eine neue Sakralisierung der Nation betrieben. St. Michael und St. Georg traten in Kunst und Literatur als Sinnbilder nationaler Selbstbehauptung auf. Diese Darstellungen verbanden religiöse, nationale und militärische Elemente zu einer Ideologie des „gerechten Kampfes“. Im Ersten Weltkrieg verkörperte St. Michael den Verteidiger des „christlichen Abendlandes“, St. Georg wurde zum Archetyp des deutschen Helden.

Im Nationalsozialismus wurden diese Bildwelten nicht aufgegeben, sondern – bei ähnlicher Ästhetik – umgedeutet. Religiöse Heilige wurden entleert und mit völkischem Pathos aufgeladen. Sie dienten dazu, Krieg, Gewalt und Ausgrenzung als „heiligen Kampf“ zu inszenieren.
In der NS-Zeit wurden St. Michael und St. Georg gezielt propagandistisch instrumentalisiert. St. Michael erschien als himmlischer Feldherr, der das auserwählte deutsche Volk im Kampf gegen das Böse unterstützte, vor allem gegen „den Osten“. Künstler wie Josef Daniel Sommer und Ottomar Anton visualisierten diese Botschaften: Sommer verwendete christliche Motive für seine Kriegspropaganda, Anton gestaltete Plakate für SS-Verbände. Beide griffen religiöse Symbolik auf, um den Krieg zu sakralisieren. Auch in Kirchen und Denkmälern tauchten in dieser Zeit Darstellungen auf, die diese Symbolik transportierten.

Das Bild „St. Georg mit Hakenkreuz“ stammt von Gustav Adolf Closs (1864–1938), einem deutschen Maler, Heraldiker und Illustrator. Es erschien 1937 als Vorsatzblatt in seinem Buch „Vier Vorträge über Wappen“, das im Verlag für Sippenforschung und Wappenkunde in Görlitz veröffentlicht wurde. Die Darstellung zeigt den heiligen Georg in Rüstung, der einen Drachen bekämpft, wobei das Hakenkreuz als zentrales Symbol integriert ist. Diese Illustration diente der nationalsozialistischen Propaganda, indem sie christliche Ikonografie mit NS-Symbolik verband, um den Krieg ideologisch zu legitimieren.
(Abbildung gemeinfrei)
Ein weiterer problematischer Aspekt betrifft Darstellungen, in denen St. Michael oder St. Georg mit antisemitischen Codes verknüpft sind. In Kirchenfenstern und Wandgemälden, vor allem aus der Zwischenkriegszeit, finden sich Szenen, in denen St. Michael „dämonische“ Gegner niederringt, die stereotype und häufig jüdischen Menschen unterstellte Merkmale aufweisen: Hakennase, Geldbeutel, gekrümmte Haltung. Auch wenn nicht explizit als Juden benannt, war die Botschaft für zeitgenössische Betrachter:innen klar.
Der Drache in der Georgslegende wurde vielfach mit „jüdischer Bosheit“ oder „Wucher“ gleichgesetzt – eine Deutung, die sich besonders in der polemischen Bildsprache des 19. und 20. Jahrhunderts wiederfindet. In Flugblättern und Karikaturen wurde St. Georg gezeigt, wie er Drachen mit im oben genannten Sinne „jüdischen Attributen“ tötete. Diese Inszenierungen legitimierten antisemitische Gewalt als „göttlich gerecht“ und fanden sich auch in Publikationen wie dem Stürmer, wo der Mythos oft nur in Umrissen zitiert, aber klar konnotiert wurde.
Solche Bildtraditionen sind aus mehreren Gründen kritisch zu hinterfragen. Sie legitimieren Gewalt, indem sie Heilige als moralische und religiöse Instanzen zeigen, die politische oder rassistische Ideologien stützen. Dadurch erscheinen Gewalt und Ausgrenzung als gottgewollt. Die emotionale Kraft religiöser Bilder wird verfremdet und zur Rechtfertigung ideologischer Botschaften genutzt, was die ursprüngliche religiöse Bedeutung verzerrt. Wer nicht zur dargestellten „Gemeinschaft der Gerechten“ gehört, wird implizit oder explizit als Feind markiert. Diese Bildsprache erschwert eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Gewaltgeschichte Europas, da sie Verfolgung als Notwehr oder gar Tugend inszeniert. Nicht zuletzt wirken diese Motive bis heute nach. Nicht nur in Denkmälern, Kirchen und militärischen Traditionen können sie unreflektiert weiterbestehen und dadurch diskriminierende Botschaften fortschreiben.

Bildquelle: Mulhall, Joe (Ed.) (2021): Antisemitism in the Digital Age: Online Antisemitic Hate, Holocaust Denial, Conspiracy Ideologies and Terrorism in Europe. A collaborative research report by Amadeu Antonio Foundation, Expo Foundation and Hope not Hate, Seite 19, in: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2021/10/antisemitism-in-the-digital-age.pdf, Stand: 4.6.2025
Vielmehr werden auch heute noch die Figuren des St. Michael und des St. Georg von neofaschistischen, rassistischen und anderen menschenfeindlichen Gruppierungen aufgegriffen, insbesondere im Internet und in sozialen Medien. In einschlägigen Bild- und Memkulturen dienen sie weiterhin als Symbole eines vermeintlich „gerechten“ Kampfes gegen als bedrohlich markierte „Andere“. Diese aktuellen Nutzungen stehen in direkter Kontinuität zur historischen Instrumentalisierung beider Figuren – von der Kreuzzugspropaganda über den völkischen Nationalismus bis zur nationalsozialistischen Bildsprache – und machen deutlich, dass sich erinnerungskulturelle Auseinandersetzung heute auch auf digitale Räume erstrecken muss. Sie belegen, wie wirkmächtig und anschlussfähig diese tradierten Symboliken auch im digitalen Zeitalter geblieben sind.
Statt solche Darstellungen unangetastet zu lassen, bedarf es Kontextualisierung, kritischer Reflexion oder auch Entfernung, wenn eine andere Deutung nicht möglich ist. Nur so kann verhindert werden, dass gewaltlegitimierende Ideologien weiterwirken. Es geht nicht darum, religiöse Figuren wie St. Michael oder St. Georg pauschal zu verwerfen, sondern ihre historische Instrumentalisierung zu erkennen und transparent zu machen. Im Sinne einer inklusiven Erinnerungskultur sollten wir uns diesen Herausforderungen stellen – und Bilder, die einst Ausgrenzung beförderten, heute nicht einfach als „traditionell“ oder „harmlos“ abzutun.
Eine Antwort auf „St. Michael und St. Georg: Problematische religiöse Bildtraditionen aus diskriminierungskritischer Perspektive“
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