Am 27. März 2024 jährt sich das Release von spuren-sichtbar-machen.de zum ersten Mal. Das ist ein guter Anlass zu einem Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate. Seit der Veröffentlichung der Seite wurde diese von mehr als dreitausend Personen aufgerufen. Damit ist spuren-sichtbar-machen.de mit Abstand das Projekt mit der größten Reichweite bei ada.kreis-höxter.
Nach der Startseite wurde dabei am häufigsten der Beitrag über die judenfeindliche Konsolfigur im unteren Turmraum der röm.-kath. Kirche Mariä Heimsuchung in Warburg gelesen. Dies kann verschiedene Ursachen haben. Zum einen ist dies einer jener Beiträge, die von Beginn an auf der Seite zu finden waren. Zum anderen darf die ada.kreis-höxter die Altstadtkirche in Warburg regelmäßig für Bildungsangebote zum Thema gegenwärtiger und historischer Judenfeindlichkeit nutzen. Darüber hinaus wurde uns auch mitgeteilt, dass seit dem interdisziplinären Fachtag zum Umgang mit den judenfeindlichen Konsolfiguren in Warburg die örtlichen Stadtführer:innen auf diese Objekte hinweisen. Auch das kann zu der besonderen Wahrnehmung der entsprechenden Artikel beitragen.
Die Seite spuren-sichtbar-machen.de wird aber nicht nur gelesen. Immer wieder erhalten wir Hinweise auf weitere judenfeindliche Objekte, so dass inzwischen Meldungen zu über 150 verschiedenen Objekten eingegangen sind. Gut die Hälfte davon befinden sich in Nordrhein-Westfalen und nicht alle stellen sich im Laufe der jeweils aufwändigen Recherchen als tatsächlich judenfeindlich heraus. Bei den meisten Meldungen ist dies jedoch leider der Fall. Selbstverständlich behandeln wir alle Meldungen absolut vertraulich, denn nicht selten kommen sie beispielsweise aus den Gemeinden, wo sich entsprechende Objekte befinden. Die meldenden Personen berichteten uns mehrfach, dass sie die Thematik bereits wiederholt innerhalb ihrer Gemeinden vorgebracht haben, sich dort aber niemand damit befassen wolle und/oder die Notwendigkeit dazu nicht gesehen werde. Gleichzeitig wollen diese Personen natürlich innerhalb ihrer Gemeinden nicht als “Nestbeschmutzer:innen” wahrgenommen werden.
Der erhebliche Aufwand bei den Recherchen zu den Objekten inklusive einer Sichtung vor Ort und der Kontaktaufnahme mit den jeweiligen Besitzer:innen erlaubt es uns derzeit, etwa eine weitere Spur pro Monat zu veröffentlichen. So sind bis heute zu den ursprünglich vier auf der Seite kontextualisierten Objekten zehn weitere hinzugekommen. Wir konzentrieren uns dabei auf Objekte in Nordrhein-Westfalen beziehungsweise über die Grenzen des Bundeslandes hinausreichende Bistümer. Zusätzlich entstanden im Bereich Kontext weiterführende Artikel zu den Themen “Die Gottesmordlegende: Grundlage für judenfeindliche Passionsdarstellungen über Jahrhunderte”, “Der brennende Judas – Antisemitisches Osterbrauchtum in Nordrhein-Westfalen” und “Red Flag: Der Judenhut”. Eine höhere Anzahl von Veröffentlichungen ist leider nicht zu schaffen, denn neben dem Haupttätigkeitsfeld der ada.kreis-höxter, der Beratung und Unterstützung von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, ist spuren-sichtbar-machen.de nur ein Baustein der Sensibilisierungs- und Bildungsarbeit der Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit.
Die Kooperation mit unseren Partnern ADIRA, SABRA und RIAS NRW funktioniert hervorragend und hat sich an vielen Punkten vertieft und ausgeweitet. So war beispielsweise im Herbst 2023 der von SABRA entwickelte Escape-Room “Fixing the Boat – Finding Identity” für zwei Wochen zu Gast bei der ada.kreis-höxter in Warburg. Allerdings stieg im September 2023 das Erzbistum Paderborn aus der Kooperation bei spuren-sichtbar-machen.de aus. Man teilte uns per Email mit, dass man sich in Bezug auf antisemitische Darstellungen zukünftig auf bestimmte Felder konzentrieren wolle. Beispielsweise arbeite man an einer Handreichung zu diesem Thema. Deswegen wolle man nicht mehr an “vielen kleineren Einzelprojekten” beteiligt sein. Wir sind gespannt auf die angekündigte Handreichung. Ob die zeitliche Nähe dieses Ausstiegs zu der Veröffentlichung unseres Beitrags zu den durch unsere Intervention entfernten judenfeindlichen Kreuzwegbildern in der Kirche St. Georg in Paderborn im September 2023 auch eine inhaltliche Verbindung indiziert, kann nur gemutmaßt werden.
Das Entfernen der judenfeindlichen Objekte in der Kirche St. Georg in Paderborn war auch der Anlass, die Marker auf der Übersichtskarte von spuren-sichtbar-machen.de differenzierter zu gestalten. Diese sind nun in drei Farben ausgeführt, so dass zwischen drei Gruppen von Objekten unterschieden werden kann. Das sind Objekte mit (lila) und ohne (rot) Maßnahmen der Kontextualisierung vor Ort sowie solche, die aufgrund unserer Arbeit entfernt wurden (blau).
Der große Erfolg bei der Wahrnehmung des Projekts spuren-sichtbar-machen.de und die Entfernung der Kreuzwegbilder aus der Kirche St. Georg in Paderborn dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in den meisten Fällen vor Ort nichts verändert hat. So teilte uns beispielsweise die Stadt Willebadessen als Besitzerin der dortigen Kreuzwegstationen mit judenfeindlichen Inschriften bereits im April 2022 mit, dass man in der Sache eine Einschätzung und einen Handlungsvorschlag von Herrn Prof. Dr. Wolffsohn erhalten habe. Man befände sich in Gesprächen mit verschiedenen beteiligten Akteuren und prüfe sorgsam, welcher Lösungsansatz umgesetzt werden soll. Auch teilte man uns mit, dass man im nächsten Planungsstadium gemeinsam mit uns und weiteren Beteiligten im Dialog diese Schritte erörtern wolle. Dazu oder gar zu einer Umsetzung entsprechender Maßnahmen ist es in den vergangenen zwei Jahren jedoch noch nicht gekommen. Nicht nur an diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig es ist, dass spuren-sichtbar-machen.de auch weiterhin nicht abwartet, bis sich Besitzer:innen und weitere Akteure zu entsprechenden Maßnahmen durchringen können, sondern bereits jetzt Beiträge zur Dokumentation und Kontextualisierung judenfeindlicher Objekte leistet.